Berliner Meister der Maria von Burgund, in: "Berliner Stundenbuch der Maria von Burgund", 1480-82, Berlin, SMPK, Kupferstichkabinett, Hs. 78 B 12, fol. 220v

Maria von Burgund und der Tod im Berliner Stundenbuch
Kunstgeschichte muss sich nicht immer an der nüchternen Interpretation der Fakten orientieren: Auch wenn es auf einer falschen Auslegung beruht, kann man den Übergang zur neuen Art von Bordüren in burgundischen Handschriften anschaulich mit dem tödlichen Reitunfall der Herzogin Maria im März 1482 verbinden. In ihrem Berliner Stundenbuch findet sich nämlich, von blaugrundigem Randschmuck umrahmt, eine Darstellung zum Toten-Offizium (fol. 220v), die man noch heute allzu gern für eine Bildreportage vom Ende des Hauses Valois auf dem burgundischen Herzogsthron hält: Da prescht ein vornehme Reiterin, von zwei jungen Männern begleitet, in Bild, von drei Toten verfolgt; ihr Monogramm, das mehrfach auf dem Zaumzeug wiederholt wird, lässt keinen Zweifel: Maria von Burgund ist hier gemeint; die Situation wirkt gefährlich, als stehe der Sturz vom Pferde gerade bevor.
Wer die Miniatur als Anspielung auf Marias Tod versteht, muss das Berliner Stundenbuch oder wenigstens das eine Bild auf dem eingeschalteten Blatt nach dem Ereignis vom März 1482 datieren und in der Handschrift ein Gedenken an die Fürstin, nicht aber deren eigenes Gebetbuch sehen. Doch hieße es, den Charakter eines spätmittelalterlichen Bildes und gerade auch die Ikonographie der einen Miniatur grob mißzuverstehen, wenn man hier wirklich den Unfall sieht: Die Fürstin stürzt nicht; im Gegenteil: sie verliert nicht einmal im Angesicht des Todes ihre Fassung.
     
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