Simon Bening, in: "Stundenbuch des Albrecht von Brandenburg", 1522-23, Bd. II, fol. 76 (Sotheby's Sale L01324A)

Eine neue Form der Seitengestaltung
Mit der kurzen Regierungszeit der letzten burgundischen Erbin aus dem Hause Valois, Maria von Burgund (1477-1482), verbindet sich eine der gewichtigsten Umwälzungen auf dem Gebiet der Buchmalerei: Die Bordüren, die gerade zu Zeiten von Willem Vrelant in einer letztlich an Pariser Vorbildern geschulten Manier aus blaugoldenem Akanthus und stark stilisierten Blumenzweigen auf dem weißen Pergamentgrund gebildet waren, verwandeln sich radikal: Farbgründe in Pinselgold und den unterschiedlichsten, zuweilen sehr heftigen Farben füllen die Randstreifen aus; darauf liegen Blüten- und Fruchtzweige in naturalistischer Manier. Selbst der Akanthus, der keineswegs aus der Randzier verschwindet, erhält eine neue dingliche Wahrscheinlichkeit: Er wirkt nun wie eine Art künstlicher Gegenstand; denn ebenso wie die Blumen hebt er sich vom Grund ab, wirft Schatten und wirkt deshalb, als könne man ihn abheben.
Zwar zwingen die teilweise extrem kleinen Formate insbesondere von prächtigen Gebetbüchern zur Wiedergabe von Pflanzen weit unter Lebensgröße; doch stellt sich insgesamt der Eindruck ein, die Ränder seien mit dem Ziel der Augentäuschung mit realen Objekten bestreut. Am deutlichsten wird das bei größeren Büchern und insbesondere angesichts von zuweilen virtuos gemalten Insekten, die wie eine Libelle Simon Benings in einem Stundenbuch für Albrecht von Brandenburg (Privatbesitz, früher Sammlung Astor, in der Bodleian Library deponiert) scheinbar auf das Blatt geflogen sind und nun ihre Flügel über Text und Rand breiten.
     
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