Paramenten-Meister, in: "Très Belles Heures de Notre-Dame", 1380-1407, Paris, Bibliothèque Nationale, ms. n.a. lat. 3093, p. 104
Jan van Eyck, in: "Turin-Mailänder Gebetbuch", 1417, 1425 oder gegen 1441, Turin, Museo Civico, fol. 116

Polare Gegensätze aus verschiedenen Zeiträumen in Miniaturen gleicher Thematik. Totendienst:
Der Kontrast zwischen den älteren Miniaturen und den Bildern Jan van Eycks könnte kaum größer sein als im Vergleich zweier Bilder eines Totendienstes in einer Kirche. Die ältere Miniatur ist ganz von den großen Figuren her konzipiert. Der nahsichtige Ritus ist Hauptthema; für die Beschreibung des Umfeldes genügen einzelne additiv hinzugefügte Motive wie ein Altar oder Maßwerkfenster. Bewegen können sich die Figuren in diesem Umfeld nicht. Einblick wird durch den um 1400 typischen Diaphragmarahmen gewährt, der hier jedoch einen Kasten begrenzt, welcher frei auf der Bildfläche schwebt. Ganz anders in der Miniatur Jan van Eycks: dem detailreich monumentalen Umfeld gilt das Hauptinteresse. Mit Maßwerkfenstern, Triforium, schweren Bündelpfeilern und beschrifteten Gräbern im Fliesenboden wird die ganze Atmosphäre einer gotischen Basilika eingefangen. Wieder drängt sich der Eindruck eines Genrebildes auf; denn die Figuren sind klein und namenlos. Kühn wirkt der schräge Einblick in den Kirchenraum, der keinen Diaphragmarahmen mehr benötigt. Stattdessen verweist van Eyck auf die Tätigkeitsgrenze des Malers, indem er suggeriert, die Kirche sei noch im Bau. Er zeigt, dass dort wo das Pergament erscheint, ein notwendiger Schnitt für den Innenraum existieren muss. Statt der üblichen Architekturrahmung, die durch eine Bogenöffnung Einblick in den Innenraum gewährt, wählt van Eyck das aus der Realität entnommene Phänomen eines unvollendeten Kirchenbaus.
     
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