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Das Verhältnis von Text und Bild
Im Marien-Offizium, dem Grundbestandteil der Buchgattung,
haben die Texte keinen erzählenden Kern. Jedoch bebildert man
das Marien-Offizium in aller Regel mit einem narrativen Zyklus der
Kindheitsgeschichte Christi, der mit der Marienverkündigung einsetzt.
Nur verstreut spielen kurze Passagen im Text auf diese Ereignisse
der Heilsgeschichte an. Beispielsweise dient als Invitatorium zur
Matutin der Engelsgruß bei der Verkündigung "Ave (maria)
gratia plena". Einen festen Platz haben auch Marias Lobpreis
bei der Heimsuchung, das Magnificat, in der Vesper und Simeons Lobgesang
bei der Darbringung im Tempel, das Nunc dimittis, in der Komplet.
In der Matutin scheint das Bild der Marienverkündigung das Ave
aus dem Lukas-Evangelium zu illustrieren, die beiden anderen Texte
aus demselben Evangelium erscheinen jedoch keineswegs dort, wo man
das Bild der biblischen Szene findet, in der das jeweilige Canticum
angestimmt wird. Beide sind in der christlichen Tradition zu Abendgesängen
geworden. |
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Das Magnificat (Mein Seel den Herrn erhebet, mein Geist sich Gottes
freuet. Er ist mein Heiland, fürchtet ihn) stimmt man zur Vesper
an, um, den Tag überblickend, Gott zu preisen. Das Nunc dimittis
(Herr, nun lässest du deinen Knecht gehen) hingegen wird nicht
auf den vom greisen Simeon lang ersehnten Tod bezogen, sondern am
Ende des Tages gleichsam zum Nachtgebet in der Komplet.
Die Matutin mit dem Ave trennen fünf liturgische Stunden (Laudes,
Prim, Terz, Sext und Non) von der Vesper, der wiederum die Komplet
direkt folgt. Hätte man nun die Bilder im Stundenbuch textgerecht
verteilt, dann wären zwischen Verkündigung und Heimsuchung
insgesamt fünf Szenen nötig gewesen. Von dort zur Darbringung
im Tempel, bei der das Christuskind in Simeons Arme gelegt wird, wäre
hingegen jede weitere Darstellung weggefallen, solange man dem Brauch
entsprechend nur die Horenanfänge bebilderte. |
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