Texte
Zu französischen Stundenbüchern, nicht aber zu flämischen, gehören als fester Grundbestand zwei Mariengebete, die man nach ihren Anfangsworten als das Obsecro und das O intemerata kennt und hinter denen sich eine schier unübersehbare Fülle von Textvarianten verbirgt.
Mit dem Obsecro beschwört man zunächst die Verdienste und Gnaden der heiligen Jungfrau, indem man der Verkündigung und der Situation unter dem Kreuze gedenkt, der Freuden wie der Schmerzen Mariä, der Wunden Christi und der Herzensnot der Muttergottes. Darauf bittet man sie um allgemeinen Beistand und um die Gaben des Heiligen Geistes, um ein gottgefälliges Leben und um ein rechtzeitiges Erscheinen vor dem Tode, damit man nicht unvorbereitet dahinscheide.
Im O intemerata, das in der hier behandelten Handschrift nicht



enthalten ist, werden die Fragen zur Erlösung an Maria und zuweilen den Lieblingsjünger Johannes dringender gestellt. Die Muttergottes tritt zurück hinter Gedanken zu Passion und Messe; ein leidenschaftliches Sündenbekenntnis schließt sich an, das in der Hoffnung endet, für die Erlösung im Jenseits noch im Leben Buße tun zu dürfen.
In beiden Gebeten nennen sich die Betenden selbst, bezeichnen sich als "Diener" Marias und "elendigliche Sünder", so dass zumindest das Angebot besteht, im Lateinischen das Geschlecht im Text zu unterscheiden; deshalb achtet man beim Katalogisieren gern auf den Unterschied zwischen den männlichen Formen famulo und miserrimo peccatori einerseits und den weiblichen famulae und miserrimae (im Spätmittelalter oft mit der vereinfachten Endung -e) peccatrici andererseits.
     
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