Rogier van der Weyden, in: Jaqcues de Guise, "Chroniques de Hainaut", 1447-48, Brüssel, KB, ms. 9242, fol. 1

Die Chronik von Hennegau
Im Verlauf der zweiten Regierungshälfte Philipps des Guten - nach einer langen Periode der Expansion und Konsolidierung - entsteht am burgundischen Hof in einem Akt der Erneuerung der Regionalgeschichtsschreibung in kurzer Folge eine ganze Serie von Chroniken einzelner Territorien des burgundischen Herrschaftsgebietes. Ihre Funktion war es, die Konsolidierungspolitik des burgundischen Herzogs literarisch zu untermauern und dessen Autorität über die noch jungen Akquisitionen in ferner Vergangenheit zu verankern, indem die Geschichte der einzelnen Gebiete letztlich in der Person des Herzogs und dessen eigener Ahnenreihe zu einer Einheit verschmolzen. Die Chronik von Hennegau ist eine der ersten Initiativen dieser Serie, deren zeitliche Spannweite in weite Vergangenheit zurückreichen. Es handelt sich damit um eine ganzheitliche Chronik, in der auf die Ursprünge der Nation zurückgegangen wird, im Gegensatz zu Chroniken, die sich mit Ereignissen einer bestimmten Epoche befassen, wie wir es bei den Chroniken Froissarts kennen gelernt haben. Im Falle der Chronik von Hennegau reicht die Erzählung von der Ankunft der Trojaner im Hennegau unter Bavo, Prinz der Belgier, einem Cousin des Trojanerkönigs Priamus, bis ins 13. Jh. in die Epoche der Margarete von Konstantinopel, der Gräfin von Hennegau und Flandern, zurück. Jean Wauquelin hatte das drei Teile à sieben Bücher umfassende Werk zwischen 1446 und 1453 für Philipp den Guten übersetzt. Das Dedikationsexemplar (Brüssel, Königliche Bibliothek, ms. 9242-44) haben wir bereits in der ersten Lektion kennen gelernt. Als Quelle verwendete Wauquelin die "Annales de Hanonie" des Jacques de Guise (1340-1399), eines franziskanischen Chronisten aus Valenciennes, der im Dienste Wilhelms von Bayern-Hennegau stand.
     
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