Jean Froissart, "Poetische Schriften", 1394, Paris, BN, ms. fr. 831, fol. 1v

Jean Froissarts Chroniken in Burgund
Ein glänzendes Beispiel für die legitimierende und repräsentative Funktion historischer Literatur am burgundischen Hof stellen die zwischen 1356 und 1404 verfassten "Chroniques" von Jean Froissart dar. In seiner Gesamtschau europäischer Geschichte des 14. Jhs. entwirft der Autor ein lebendiges Bild von Abenteuern und Schlachten, aber auch glanzvollen Ereignissen während des Hundertjährigen Krieges, der zwischen 1338 und 1354 zunächst ausgehend vom französisch-englischen Konflikt um die französische Thronnachfolge bald ganz Europa überschattete. Froissart setzt mit seinen Schilderungen im Jahr 1325, kurz vor dem Regierungsantritt Eduards III., ein und endet mit dem Tod Richards II. im Jahre 1400.
In Burgund wurde der Autor aus dem nordfranzösischen Valenciennes schon früh als "Nationalhistoriograph" vereinnahmt. So entstanden Prachthandschriften des Textes im Verlauf der Regierungszeit Philipps des Guten und Karls des Kühnen überwiegend für burgundische Bibliophile, während man am französischen Hof die "Grandes Chroniques de France" bevorzugte. Im Kreis der burgundischen Chronisten des 15. Jahrhunderts fand Froissart auch seine ersten Nacheiferer. Enguerrand de Monstrelet verstand sich in seiner die Jahre 1400-1444 umfassenden Chronik sogar explizit als Nachfolger Froissarts, aber auch Philipps des Guten erster Hofhistoriograph George Chastellain nennt ihn als Vorbild.
Da sich Froissart selbst zeitlebens einer eindeutigen politischen Zuweisung entzogen hat, fällt eine einseitige Parteinahme für die Burgunder als Begründung für deren Interesse aus. Die Vorliebe muss Folge einer burgundischen "Lesart" des Werkes sein.
     
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