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Gattungsunterschiede
Zwischen Geschichtsschreibung und Unterhaltungsliteratur
fließen im spätem Mittelalter die Gattungsgrenzen, da beide
nicht selten mit dem gleichen Wahrheitsanspruch auftreten und ihr
Inhalt in beiden Fällen als historisch verbürgt angenommen
wurde. Auch die formale Unterscheidung von gereimtem Epos, das bald
als Lügendichtung verdammt wurde, und Prosa, der ein höherer
Wahrheitsgehalt zugesprochen wurde, will nicht mehr gelingen, da Romane
wie Chroniken inzwischen überwiegend in Prosa abgefasst wurden.
Erst im 16. Jahrhundert trennen sich die Gattungen entschieden.
Der überwiegende Teil der Geschichtswerke, die in burgundischen
Bibliotheken des 15. Jahrhunderts einen festen Platz einnahmen, entstand
als Kompilation älterer Quellen. |
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Von unvoreingenommener Recherche für solche
Texte kann kaum gesprochen werden. Der Einfluss, den das jeweilige
politische Interesse des Hofes auf die Texte ausübte, ist nicht
schwer vorzustellen. In jenen Fällen, in denen bereits bestehende
Geschichtswerke vollständig übernommen wurden, oblag es
schließlich der Übersetzung, den richtigen Akzent zu setzen.
Historiographen wie Enguerrand
de Monstrelet, Jean
de Wavrin, George Chastellain oder Olivier
de la Marche taten in ihren Werken ein Übriges, die Geschichte
des Burgunderreiches ins rechte Licht zu rücken. Dem heutigen
Historiker vermitteln diese Bücher daher nicht selten mehr Information
über repräsentative und legitimierende Ansprüche als
über historische Fakten. |
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