Jean Tavernier, in: "Miracles de Notre-Dame", um 1456, Paris, BN, ms. fr. 9198, fol. 19
Jean Tavernier, in: Jean Miélot, "Oeuvres didactiques", um 1450, Brüssel, KB, ms. 9278-80, fol. 10

Der Gelehrte im Bild
Für den heutigen Betrachter stellt sich der Autor, Übersetzer oder Kompilator eines Textes im Bild wie in der Rekonstruktion des Herstellungsprozesses von Handschriften als eigentlicher Gelehrter und inspirierter Geist dar. Umringt von zahllosen Folianten kennen wir ihn in der Tradition der Evangelistendarstellungen seit jeher in sinnierender Pose an seinem Schreibpult sitzend. Ihm kommt sogar häufig, sollte das Frontispiz nicht mit einer Dedikation besetzt sein, das erste Bild einer Handschrift zu. Die Bildwelt des burgundischen Spätmittelalters bietet uns einen recht differenzierten Blick auf den höfischen Gelehrten: Manchmal kann er, wie Jean Miélot im Frontispiz der "Miracles de Notre-Dame" (Paris, BN, ms. fr. 9198) inmitten seiner das ganze Weltwissen ausdrückenden Bücher zum Prolog als Autor allein das wichtigste Bild einer Handschrift für sich beanspruchen. Kreative Unordnung ist im Bild des Schreibens dabei fast immer inbegriffen. Der Ort der Tätigkeit hingegen variiert: ein Studiolo (Studierzimmer), aber auch die vornehme Stube, beispielsweise in freier Adaption des Mérode-Altars vom Meister von Flémalle, sind denkbar.
     
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