Lernziele

1. Für die kodikologische Beschreibung von Handschriften ist ein Verständnis des Enstehungsprozesses von Büchern vom Pergamentblatt bis zum illuminierten und gebundenen Kodex unerlässlich. Auf der Grundlage dieses Wissens, welches zunächst die Einführung in eine sehr spezielle Terminologie erfordert, sollen die Studentinnen und Studenten lernen, eigenständig eine Handschrift katalogartig zu beschreiben.

2. Im Kontext des Buches stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Text und Bild auf eine evident dringliche Weise. Selten finden sich jedoch vollständige Editionen, so daß der Kunsthistoriker zur Bestimmung des Dargestellten häufig den Originaltext der Handschrift zu lesen hat. Im Gegensatz zu späteren Drucken stellt jede Handschrift zudem ein Einzelstück dar. Der Rückgriff auf den Quellentext ist daher auch in den Fällen sinnvoll, in denen moderne edierte Ausgaben vorhanden sind, da Abweichungen vorkommen, die für die Deutung der Handschrift und ihrer Bilder von enormer Wichtigkeit sein können. Eine Einführung in die gängigsten Schrifttypen bildet dafür die Grundlage.

3. Einen gesonderten Bereich innerhalb der Beschreibung von Handschriften bildet der Buchdekor von kalligraphischem Schriftschmuck über Initialen und Bordüren bis zur ganzseitigen Miniatur. Der spätmittelalterliche Buchdekor ist prinzipiell hierarchisch organisiert. Neben der Fähigkeit, die einzelnen Dekorationselemente einer Handschrift bestimmen und beschreiben zu können, sollen die Studentinnen und Studenten eine Sensibilität für die Deutung jener hierarchischen Dekorationsstruktur entwickeln. Unterschiedliche Dekorationssysteme werden vorgestellt. Ihre Deutung soll dem Lernenden Vorbild zur eigenen Analyse sein.

4. Einen besonderen Schwerpunkt des Seminars bildet das Ziel, den Studentinnen und Studenten ein Verständis für das Buch als kulturhistorisches Phänomen zu vermitteln. Bücher sind als Träger von Wissen und Bestandteile von Sammlungen eines spezifischen Personenkreises mit eigenen, nicht selten sehr individuellen Interessen zu begreifen. Als Auftragswerke tragen handgeschriebene Bücher diesem Umstand in Text und Bebilderung Rechnung. Um einen Einblick in den sehr komplexen Bereich von Funktion und Stellenwert des Buches am burgundischen Hof vermitteln zu können, sollen die wichtigsten Personen, die, vom Auftrageber über den Autor und/oder Schreiber bis zum Buchmaler, am Produktionsprozess der Handschriften beteiligt sind, exemplarisch jedoch durchaus repräsentativ durch die Auswahl der behandelten Werke vorgestellt werden.

5. Besondere Bedeutung fällt den einzelnen Sammlungen zu. In einer Überblicksveranstaltung zu Beginn sowie durch die Auswahl der innerhalb des Kurses zu behandelnen Handschriften soll Einblick in unterschiedliche Textgattungen inklusive der ihnen eigenen Bebilderungslogik gegeben werden. Die Frage, "Was wurde gelesen und warum?" bildet einen roten Faden, der den gesamten Kurs durchziehen wird. Von spezifischem Interesse ist dabei, inwieweit Buchmaler in ihren Werken jene Funktionszusammenhänge und Textunterschiede zu reflektieren vermögen.

6. Grundlage bildet das historische Fundament. Ihm ist der Beginn des Kurses gewidmet. Die wichtigsten Protagonisten der burgundischen Geschichte, die territoriale Ausdehnung des Gebietes und die politisch außerordentlich brisante Stellung des burgundischen Herzogtums zwischen Frankreich, England und dem römischen Reich deutscher Nation stellt eine Wissensgrundlage für den Kurs dar.